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Herr und Knecht

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VIII

Unterdessen ritt Wasili Andrejitsch, das Pferd mit den Füßen und den Enden der Zügel antreibend, in der Richtung dahin, wo er aus irgendwelchem Grunde den Wald und das Wächterhäuschen vermutete. Der Schnee verklebte ihm die Augen, und der Wind schien ihn zurückhalten zu wollen; aber er trieb, sich ganz vornüber beugend, unaufhörlich das Pferd an. Dabei schlug er fortwährend seinen Pelz zusammen und schob ihn zwischen seinen Körper und das kalte, mit Nägeln beschlagene Rückenpolster, das ihm beim Sitzen hinderlich war. Das Pferd ging gehorsam, wiewohl nur mit großer Mühe, im Paßgang dahin, wohin er es lenkte.

So ritt er ungefähr fünf Minuten, immer geradeaus, wie er meinte, ohne etwas anderes zu sehen als den Kopf des Pferdes und die weiße Wüste, und ohne etwas anderes zu hören als das Pfeifen des Windes um die Ohren des Pferdes und um den Kragen seines Pelzes.

„Zum Teufel noch einmal! Was hast du mir für einen Schreck eingejagt, verdammtes Vieh!“ sagte Wasili Andrejitsch vor sich hin.

„Königin des Himmels, wundertätiger Nikolaus!“ rief er aus, indem er sich an die gestrigen Kirchengebete erinnerte und an das Heiligenbild mit der schwarzgewordenen Malerei und dem goldenen Rahmen, und an die Kerzen, die er zum Anzünden vor diesem Heiligenbilde verkaufte, und die ihm sofort wieder zurückgebracht wurden, und die er dann, da sie kaum angebrannt waren, wieder in seinem Kasten verwahrte. Und nun betete er zu ebendiesem wundertätigen Nikolaus um seine Rettung und gelobte ihm einen Dankgottesdienst und Kerzen. Aber zugleich war er sich in zweifelloser Weise darüber klar, daß dieses Heiligenbild und sein Rahmen und die Kerzen und die Geistlichen und die Gebete, daß das alles zwar dort in der Kirche sehr wichtig und nötig sei, ihm aber hier nichts helfen könne, und daß zwischen diesen Kerzen und Gebeten einerseits und seiner jetzigen jammervollen Lage andrerseits keinerlei Zusammenhang bestehe und auch nicht bestehen könne.

„Ich muß mich sammeln, muß meine Gedanken zusammennehmen,“ sagte er zu sich, konnte sich aber dabei doch nicht zur Ruhe zwingen und trieb das Pferd unaufhörlich an, ohne zu bemerken, daß er jetzt mit dem Winde ritt, und nicht mehr gegen den Wind. Sein Körper fror, schmerzte und zitterte, namentlich zwischen den Beinen am Schritt, wo er ungeschützt war und das Rückenpolster berührte. Der Gedanke an das Wächterhäuschen war ihm ganz aus dem Sinn gekommen, und er wünschte jetzt nur noch eines: zu dem Schlitten zurückzukehren, um nicht so einsam und allein wie diese Beifußstauden mitten in dieser furchtbaren Schneewüste zugrunde zu gehen.

Wieder erblickte er etwas Dunkles vor sich. Er freute sich, überzeugt, daß es diesmal nun sicher ein Dorf sei. Aber es war wieder ein mit Beifuß bewachsener Rain. Und wieder schwankten die Stauden wild hin und her und flößten dem einsamen Reiter eine unerklärliche Angst ein. Und nicht genug damit, daß dies ebensolche Beifußstauden waren; es führte an ihnen auch eine vom Winde fast verwehte Pferdespur vorbei. Wasili Andrejitsch hielt an, beugte sich hinunter und blickte scharf hin: es war eine leicht mit Schnee überdeckte Pferdespur, und sie konnte von keinem anderen Pferde herrühren als von seinem eigenen. Er war offenbar im Kreise herumgeritten, und zwar auf einem kleinen Raume. „So gehe ich zugrunde,“ dachte er; aber um nicht ganz von der Furcht übermannt zu werden, trieb er das Pferd noch heftiger an und starrte immer in den weißen Schneenebel hinein, in welchem er nichts sah als ab und zu aufschimmernde und sofort wieder verschwindende leuchtende Punkte. Einmal glaubte er, das Bellen von Hunden oder das Heulen von Wölfen zu hören; aber diese Laute waren so schwach und unbestimmt, daß er nicht wußte, ob er wirklich etwas höre oder es sich nur einbilde. Er hielt das Pferd an und horchte mit größter Spannung.

Plötzlich zeigte sich vor ihm etwas Dunkles. Das Herz in der Brust begann ihm freudig zu pochen, und er ritt auf dieses Dunkle zu, in welchem er bereits die Wände von Bauernhäusern zu erkennen glaubte. Aber dieses Dunkle war nicht unbeweglich, sondern schwankte fortwährend und war kein Dorf, sondern ein Grenzrain, der mit hohen, aus dem Schnee herausragenden Beifußstauden bewachsen war, welche der durch sie hindurchpfeifende Wind immer nach einer Seite bog. Und ohne eigentlichen Grund schauderte beim Anblicke dieser vom Winde unbarmherzig mißhandelten Beifußstauden Wasili Andrejitsch zusammen und trieb eilig das Pferd weiter, ohne zu beachten, daß er beim Heranreiten an die Beifußstauden die frühere Richtung vollständig verändert hatte und jetzt das Pferd nach einer ganz anderen Seite trieb, immer noch in der Vorstellung, daß er nach der Seite ritte, wo sich das Wächterhäuschen befinden müsse. Aber das Pferd strebte immer nach rechts, und deshalb lenkte er es die ganze Zeit über mehr nach links.

Plötzlich ertönte nicht weit von seinen Ohren ein furchtbares, betäubendes Schreien, und alles erzitterte und erbebte unter ihm. Wasili Andrejitsch klammerte sich an den Hals des Pferdes; aber auch dieser ganze Hals zitterte, und das furchtbare Geschrei wurde noch entsetzlicher. Einige Sekunden lang vermochte Wasili Andrejitsch gar nicht zur Besinnung zu kommen und sich darüber klar zu werden, was eigentlich geschehen war. Aber was geschehen war, bestand nur darin, daß der Braungelbe, sei es um sich Mut zu machen, sei es um jemand zur Hilfe herbeizurufen, ein lautes, schallendes Gewieher ausgestoßen hatte.

Auf einmal sank das Pferd unter ihm weg; es war in eine Schneegrube hineingeraten und begann nun mit den Beinen um sich zu schlagen, fiel aber zur Seite. Wasili Andrejitsch sprang herunter, wobei er den Umlaufriemen, auf den er sich mit dem Fuße gestützt hatte, ganz seitwärts verschob und das Rückenpolster, an dem er sich beim Abspringen gehalten hatte, schief zog. Sobald er vom Pferde heruntergesprungen war, kam das Pferd wieder mit sich zurecht, tat einen Ruck nach vorn, machte einen Sprung, dann noch einen, stieß wieder ein Gewieher aus, und indem es den auf dem Boden schleifenden Sack und den Umlaufriemen hinter sich her schleppte, verschwand es seinem Herrn aus den Augen und ließ diesen allein in der Schneemasse zurück. Wasili Andrejitsch lief ihm nach; aber der Schnee war so tief und seine Pelze so schwer, daß er nicht mehr als zwanzig Schritte machen konnte, wobei er mit jedem Beine bis über das Knie einsank; dann blieb er atemlos stehen. „Der Wald, die Hammel, die gepachteten Güter, der Laden, die Schenken,“ dachte er, „was wird nun aus alledem werden? Was geschieht denn hier mit mir? Das kann doch nicht sein!“ fuhr es ihm durch den Kopf. Und infolge einer eigenartigen Gedankenverknüpfung erinnerte er sich an die vom Winde gepeitschten Beifußstauden, an denen er zweimal auf seinem Ritte vorbeigekommen war, und es überkam ihn ein solches Grauen, daß er an die Wirklichkeit dessen, was mit ihm vorging, gar nicht zu glauben vermochte. Er dachte: „Ob mir auch nicht etwa das alles nur träumt?“ und wollte aufwachen; aber da war kein Schlaf, aus dem er hätte erwachen können. Das war wirklicher Schnee, der ihm das Gesicht peitschte und ihn beschüttete, und das war eine wirkliche Einöde, in der er jetzt allein geblieben war, wie jenes Beifußgestrüpp, und einem unvermeidlichen, baldigen, allen Sinnes und Verstandes baren Tode entgegensah.

Aber auch nachdem er die wahre Ursache seiner Angst erkannt hatte, konnte er sich von dieser Angst nicht mehr frei machen.

„Ich darf nicht den Mut verlieren,“ sagte er sich. „Ich muß den Spuren des Pferdes folgen, sonst werden die auch noch verweht.“ Und er setzte sich wieder in Bewegung. Aber trotzdem er eigentlich beabsichtigte ruhig zu gehen, begann er doch zu laufen, fiel fortwährend, erhob sich wieder und fiel von neuem. An solchen Stellen, wo der Schnee nicht tief lag, war die Spur des Pferdes kaum noch zu erkennen. „Es ist um mich geschehen,“ dachte Wasili Andrejitsch; „ich verliere auch diese Spur noch.“ Aber in diesem Augenblicke bemerkte er, als er nach vorn sah, etwas Dunkles. Das war der Braungelbe, und der Braungelbe nicht allein, sondern auch der Schlitten mit der aufgerichteten Deichsel. Der Braungelbe, dem das Rückenpolster und der Umlaufriemen und der Sack ganz schief gerutscht waren, stand jetzt nicht auf seinem früheren Platze, sondern näher bei der Deichsel und schlug mit dem Kopfe hin und her, den ihm der Zügel, auf welchen er getreten war, nach unten zog. Es stellte sich heraus, daß Wasili Andrejitsch in derselben Vertiefung stecken geblieben war, in welcher ihm vorher mit Nikita zusammen das gleiche begegnet war, und daß das Pferd ihn zum Schlitten zurückgebracht hatte, und daß die Stelle, wo er vom Pferde gesprungen war, von dem Standorte des Schlittens nicht mehr als fünfzig Schritte entfernt gewesen war.

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