Herr und Knecht在线阅读

Herr und Knecht

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VII

Nikita hatte von dem Augenblicke an, wo er sich mit der Packleinwand eingehüllt und sich hinter der Hinterwand des Schlittens hingesetzt hatte, dagesessen, ohne sich zu rühren. Wie alle Menschen, die mit der Natur leben und die Not kennen, war er geduldig und konnte Stunden, ja Tage lang ruhig warten, ohne in Unruhe oder Erregung zu geraten. Er hatte gehört, wie sein Herr ihn vorhin einige Male angerufen hatte; aber er hatte nicht geantwortet, weil er sich nicht bewegen mochte.

Der Gedanke, daß er in dieser Nacht sterben könne, ja aller Wahrscheinlichkeit nach werde sterben müssen, kam ihm gleich damals, als er sich hinter dem Schlitten niedersetzte. Obgleich ihm von dem getrunkenen Tee und von der starken Bewegung beim Herumwaten durch die Schneewehen noch warm war, so wußte er doch, daß diese Wärme nicht lange vorhalten und er nicht mehr imstande sein werde, sich durch Bewegung zu erwärmen, weil er sich entsetzlich müde fühlte. Er fühlte sich in demselben Zustande wie ein Pferd, das völlig den Dienst versagt und erst gefüttert werden muß, um wieder weiterarbeiten zu können. Außerdem war ihm der eine Fuß in dem zerrissenen Stiefel ganz erstarrt, und er fühlte an ihm die große Zehe nicht mehr. Und auch am ganzen Körper fror er immer heftiger.

„Und die Sünden?“ dachte er auf einmal und erinnerte sich an seine Trunksucht, an das vertrunkene Geld, und wie er seine Frau geschimpft und mißhandelt und oft die Kirche versäumt und die Fasten nicht gehalten hatte, und an alles, was ihm sonst noch vom Popen in der Beichte zum Vorwurf gemacht worden war. „Gewiß, das sind Sünden. Aber habe ich die denn selbst verschuldet? Offenbar hat mich doch Gott so geschaffen. Na ja, mögen es Sünden sein. Was soll ich nun dabei tun?“

„Es kann einem ja leid tun, so alles zu verlassen, worin man sich eingelebt und woran man sich gewöhnt hat. Na, aber was ist zu machen? Dann muß man sich eben auch an das Neue gewöhnen.“

So überlegte er das, was ihm in dieser Nacht zustoßen konnte, und nachdem er über diesen Punkt dergestalt mit sich ins reine gelangt war, überließ er sich allerlei Gedanken und Erinnerungen, die ihm von selbst in den Kopf kamen. Er dachte daran, wie Marfa gekommen war, und wie die Knechte sich betrunken hatten und er sich geweigert hatte mitzutrinken, und dann wieder an die jetzige Fahrt, und an die Stube im Hause des Bauern Taras, und an die Gespräche über die Wirtschaftsteilungen, und an seinen Sohn, und an den Braungelben, der es jetzt unter der Decke warm habe, und an seinen Herrn, der sich so unruhig umherwälze, daß der Schlitten knarre. „Ich meine, dem guten Manne tut es jetzt selbst leid, daß er gefahren ist,“ dachte er. „Von einem so angenehmen Leben mag man nicht gern Abschied nehmen; das ist eine andere Sache wie bei unsereinem.“ Und alle diese Erinnerungen und Gedanken begannen sich in seinem Kopfe zu vermengen und wirr durcheinander zu schlingen, und er schlief ein.

Der Gedanke, daß er in dieser Nacht sterben werde, erschien ihm weder besonders traurig noch besonders furchtbar. Besonders traurig konnte ihm dieser Gedanke nicht erscheinen, weil sein ganzes Leben ganz und gar nicht ein ununterbrochener Festtag, sondern vielmehr ein steter Frondienst gewesen war, von dem er müde zu werden anfing. Auch besonders furchtbar war ihm dieser Gedanke nicht, weil er, abgesehen von den Brotherren, denen er, wie jetzt diesem Wasili Andrejitsch, hier auf Erden diente, sich von dem höchsten Herrn abhängig fühlte, von Ihm, der ihn in dieses Leben gesandt hatte, und weil er wußte, daß er, auch wenn er sterbe, in der Hand dieses Herrn bleibe, und daß dieser Herr ihm nichts Übles tun werde.

Als aber Wasili Andrejitsch beim Besteigen des Pferdes den Schlitten ins Schwanken brachte und die Hinterwand, an die sich Nikita mit dem Rücken lehnte, zurückwich und er von der einen Kufe einen Stoß in den Rücken bekam, da wachte er auf und sah sich, ob er nun wollte oder nicht, genötigt, seine Lage zu verändern. Mit Mühe streckte er die Beine gerade, schüttelte den Schnee von ihnen ab und erhob sich; sofort aber durchdrang auch eine peinigende Kälte seinen ganzen Körper. Nachdem er begriffen hatte, was vorging, kam ihm der Wunsch, Wasili Andrejitsch möchte ihm den Sack dalassen, den das Pferd nun nicht mehr nötig hatte, damit er sich mit ihm zudecken könne, und er rief ihm das zu.

Aber Wasili Andrejitsch hielt sich nicht länger auf und verschwand in dem stäubenden Schnee. Allein zurückgeblieben, überlegte Nikita einen Augenblick lang, was er nun tun solle. Wegzugehen und nach einer menschlichen Wohnung zu suchen, dazu fühlte er nicht mehr die Kraft in sich. Auch sich wieder auf seinen alten Platz zu setzen war nicht mehr möglich: der war schon ganz von Schnee bedeckt. Im Schlitten aber, das fühlte er, würde er sich nicht warm halten können, weil er nichts hatte, um sich zuzudecken, und sein Mantel und sein Pelz ihn gar nicht wärmten. Er fror, als wäre er im bloßen Hemde. So stand er ein Weilchen und überlegte; dann seufzte er, und ohne die Packleinwand vom Kopfe zu nehmen, legte er sich im Schlitten auf den Platz, den vorher sein Herr eingenommen hatte.

Er ballte sich unten am Boden des Schlittens zu einem möglichst kleinen Klumpen zusammen, konnte aber schlechterdings nicht warm werden. So lag er etwa fünf Minuten lang, am ganzen Leibe zitternd; dann ging das Zittern vorüber, und er verlor allmählich das Bewußtsein. Ob er sterbe oder einschlafe, das wußte er nicht; aber er fühlte sich in gleicher Weise zu dem einen wie zu dem andern bereit. Nur ganz unklar dachte er: „Wenn es Gott gefällt, daß ich noch einmal hier in dieser Welt lebend aufwache und wie früher als Knecht lebe und immer in derselben Weise fremde Pferde pflege und fremden Roggen nach der Mühle fahre und in derselben Weise mich betrinke und das Trinken abschwöre und in derselben Weise meinen Arbeitsverdienst meinem Weibe und diesem Böttcher hingebe und in derselben Weise darauf warte, daß mein Sohn heranwächst: so geschehe Sein heiliger Wille. Und wenn es Gott gefällt, daß ich in einer andern Welt erwache, wo alles ebenso neu und beglückend sein wird, wie mir hier auf Erden in meiner ersten Kindheit die Liebkosungen meiner Mutter und das Spielen mit anderen Kindern und das Schlittenfahren im Winter und die Wiesen und die Wälder neu und beglückend waren, und daß für mich ein anderes, neues, wunderbares Leben beginne: so geschehe Sein heiliger Wille.“ Dann verlor Nikita völlig das Bewußtsein.

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