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Herr und Knecht

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VI

Wasili Andrejitsch fühlte sich in seinen beiden Pelzen ganz warm, besonders nachdem er sich in der Schneewehe so abgeplackt hatte; aber es lief ihm doch kalt über den Rücken, als er zu der Überzeugung gelangte, daß er wirklich werde hier übernachten müssen. Um sich zu beruhigen, setzte er sich in den Schlitten und holte die Zigaretten und die Streichhölzer aus der Tasche.

Nikita spannte unterdessen das Pferd aus. Er löste den Bauchriemen und den Riemen des Rückenpolsters, nahm das Lenkseil und den Krummholzriemen ab und drehte das Krummholz heraus; dabei redete er unaufhörlich mit dem Pferde und sprach ihm Mut ein.

„Wozu soll ich hier liegen und auf den Tod warten? Ich will mich auf das Pferd setzen, und dann vorwärts!“ Dieser Gedanke schoß ihm auf einmal durch den Kopf. „Mit einem Reiter wird dem Pferde die Kraft nicht versagen. Ihm,“ dachte er mit Bezug auf Nikita, „kann es ganz gleich sein, ob er stirbt. Was hat er für ein Leben! Um ein solches Leben kann es ihm nicht leid sein. Aber ich habe, Gott sei Dank, so viel, daß ich mein Leben genießen kann …“

„Wenn ich in Grischkino über Nacht geblieben wäre, dann wäre das nicht passiert.“ Und nachdem er sich sorgsam eingewickelt hatte, damit die Wärme des Pelzes nirgends verloren ginge und er es überall, am Halse, an den Knien und an den Füßen, warm hätte, schloß er die Augen und versuchte einzuschlafen. Aber trotz aller Bemühungen behielt er immer das Bewußtsein, ja er fühlte sich sogar vollkommen frisch und angeregt. Wieder begann er seine Gewinne zu berechnen, und wieviel Geld ihm andre Leute schuldig waren; wieder prahlte er vor sich selber und freute sich über seine Persönlichkeit und über die Stellung, die er einnahm; – aber jetzt wurden diese vergnüglichen Gedanken fortwährend durch die heranschleichende Angst unterbrochen und durch den Ärger darüber, daß er nicht in Grischkino über Nacht geblieben war. Er drehte sich mehrmals herum und legte sich anders zurecht, in der Absicht, eine bequemere und mehr gegen den Wind geschützte Lage zu finden; aber alles kam ihm unbequem vor; er richtete sich wieder auf, veränderte seine Lage, wickelte sich die Beine ein, schloß die Augen und verhielt sich ruhig. Aber dann machte sich entweder in den zusammengekrümmten Beinen, die in den hohen Filzstiefeln steckten, ein dumpfer Schmerz fühlbar, oder es zog auch irgendwo durch, und so dachte er denn, nachdem er eine kurze Weile so gelegen hatte, wieder mit ingrimmigem Ärger über sich selbst daran, daß er jetzt ruhig in der warmen Stube zu Grischkino liegen könnte, und erhob sich wieder, wälzte sich herum, wickelte sich ein und legte sich wieder anders zurecht.

„Was scher ich mich um den dummen Wald; meine Geschäfte gehen, Gott sei Dank, auch ohne ihn gut. Ach, wenn ich doch ein Nachtlager unter Dach und Fach hätte!“ sagte er zu sich selbst. „Man sagt, daß Betrunkene am leichtesten erfrieren,“ dachte er, „und ich habe ziemlich stark getrunken.“ Und während er nun auf seine Empfindungen achtete, fühlte er, daß er zu zittern anfing, ohne selbst zu wissen, weswegen er zitterte, ob vor Kälte oder vor Furcht. Er versuchte, sich einzumummen und dazuliegen wie vorher; aber er war nicht mehr imstande, das zu tun. Es war ihm unmöglich, ruhig auf einem Fleck zu bleiben; es verlangte ihn, aufzustehen und irgend etwas zu unternehmen, um die in ihm aufsteigende Angst, gegen die er sich machtlos fühlte, zu übertäuben. Er holte wieder die Zigaretten und die Streichhölzer hervor; aber es waren nur noch drei Streichhölzer übrig, und die waren sämtlich schlecht. Bei allen dreien rieb sich die Zündmasse ab, ohne daß sie Feuer gefangen hätten.

„Warte mal, ich will noch eine Flagge machen,“ sagte er und hob das Tuch auf, das er sich vom Kragen abgebunden und in den Schlitten geworfen hatte. Er zog die Handschuhe aus, reckte sich in die Höhe, um hinaufzureichen, und band das Tuch mit einem festen Knoten an den Polsterriemen neben die Deichselstangen.

„Und woher kommt das? Weil ich alle meine Gedanken auf das Geschäft richte, weil ich mich anstrenge, weil ich es nicht so mache wie andre Leute, die faulenzen oder sich mit Dummheiten abgeben. Aber ich gönne mir oft nicht einmal in der Nacht den Schlaf. Und selbst wenn's schneit und stürmt, ich fahre doch. Na, da geht denn auch das Geschäft nach Wunsch. Die Leute denken, man könnte so spielend Geld erwerben. Nein, arbeiten muß man, sich den Kopf zerbrechen. Sie bilden sich ein, man könnte durch irgendwelchen Glücksfall in die Höhe kommen. Da, dieser Mironow, der ist jetzt Millionär. Und warum? Gearbeitet hat er, gearbeitet. Dann gibt's einem der liebe Gott. Wenn mich nur Gott gesund erhält.“ Und der Gedanke, daß auch er ein solcher Millionär werden könne wie Mironow, der mit nichts angefangen hatte, dieser Gedanke regte Wasili Andrejitsch so auf, daß er das Bedürfnis verspürte, mit jemand ein bißchen zu reden. Aber es war niemand da, mit dem er hätte reden können. Wäre er nur nach Gorjatschkino hingekommen, dann hätte er mit dem Gutsbesitzer sprechen und dem ein Licht darüber aufstecken können, was er, Brechunow, für ein ausgezeichneter Mensch sei.

„So wirst du es doch ein bißchen wärmer haben, mein Dummerchen,“ sagte er und legte dem Pferde über den Sack wieder das Rückenpolster und den schweren Umlaufriemen auf.

„Sieh nur, wie geschickt ich das gemacht habe,“ sagte Wasili Andrejitsch, wohlgefällig sein Werk betrachtend, und stieg wieder in den Schlitten. „Beide zusammen hätten wir es hier wärmer; aber zwei können hier nicht sitzen,“ sagte er.

„O weh, was ist das für eine lange Nacht!“ dachte Wasili Andrejitsch und fühlte, wie ihm ein kalter Schauder über den Rücken lief. Und nachdem er sich wieder zugeknöpft und eingemummt hatte, drückte er sich von neuem in seine Schlittenecke. Plötzlich vernahm er durch das eintönige Brausen des Windes hindurch mit Sicherheit einen neuen Ton, einen Ton von etwas Lebendigem. Dieser Ton schwoll gleichmäßig an, und nachdem er zu vollständiger Deutlichkeit gelangt war, wurde er mit derselben Gleichmäßigkeit wieder schwächer. Es konnte kein Zweifel darüber bestehen, daß es ein Wolf war. Und dieser Wolf heulte in solcher Nähe, daß man, da auch der Wind von dort herüber stand, deutlich hören konnte, wie er durch die Drehung der Kinnlade den Klang seiner Stimme veränderte. Wasili Andrejitsch hatte den Kragen zurückgeschlagen und lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit. Der Braungelbe horchte gleichfalls, die Ohren bewegend, angestrengt danach hin und wechselte, als der Wolf mit seinem Geheul aufhörte, die Fußstellung und schnaubte warnend. Von nun an vermochte Wasili Andrejitsch schlechterdings nicht mehr einzuschlafen, ja überhaupt nicht innerlich ruhig zu sein. Wie sehr er sich auch bemühte, an seine Rechnungen, an seine Geschäfte, an seinen Ruhm, seine angesehene Stellung und seinen Reichtum zu denken, so bemächtigte sich seiner doch immer mehr eine furchtbare Angst und drängte alle andern Gedanken zurück, und in alle Gedanken mischte sich der Gedanke ein, warum er nicht über Nacht in Grischkino geblieben sei.

„Nun sieh mal an, wie das bläst! Wir werden noch so einschneien, daß wir uns am Morgen gar nicht werden herausarbeiten können,“ dachte er, während er auf die heftigen Stöße des Windes horchte, der den Schnee gegen das Vorderteil des Schlittens peitschte und so stark blies, daß die Bastwand sich bog.

„Na, wenn wir hier übernachten müssen, dann meinetwegen!“ sagte er in entschlossenem Tone. Und beim Anblicke der aufgerichteten Deichselstangen bekam er Lust, dieses Signal noch zu vervollkommnen und Nikita zu belehren.

„Na, nun komm heraus, komm heraus,“ sagte er zu dem Tiere, indem er es aus der Gabeldeichsel herausführte. „Siehst du, hier werden wir dich anbinden. Und Stroh lege ich dir unter und zäume dich ab,“ sagte er und führte dabei alles aus, was er sagte. „Wenn du erst ein bißchen gefressen haben wirst, dann wird dir gleich vergnüglicher zumute sein.“

„Jetzt wollen wir uns ein Signal machen,“ sagte Nikita, wendete den Schlitten mit dem Vorderteil gegen den Wind, band die Deichselstangen mit dem Riemen des Rückenpolsters zusammen, richtete sie in die Höhe und befestigte sie am Vorderteile des Schlittens. „So! Wenn wir nun verschneit werden, werden es gute Menschen an den Deichselstangen sehen und uns ausgraben,“ bemerkte Nikita dazu. „Das habe ich von alten Leuten gelernt.“

„Ich werde schon einen Platz finden,“ antwortete Nikita. „Ich muß nur erst das Pferd zudecken; ganz in Schweiß ist es geraten, das liebe Tier. Erlauben Sie mal,“ fügte er hinzu, und an den Schlitten herantretend, zog er den Sack unter Wasili Andrejitsch hervor. Er legte ihn doppelt zusammen, und nachdem er vorher den Umlaufriemen und das Rückenpolster abgenommen hatte, bedeckte er den Braungelben mit dem Sacke.

„Hol dich der Teufel, verfluchtes Biest! Fort mit dir!“ schimpfte er, ohne selbst zu wissen, auf wen, und schleuderte die verdrückte Zigarette von sich. Auch das Streichholzschächtelchen wollte er schon wegschleudern; aber er hemmte noch diese Bewegung seiner Hand und schob das Schächtelchen in die Tasche. Es überkam ihn eine solche Unruhe, daß er nicht länger an seinem Platze bleiben konnte. Er stieg aus dem Schlitten, stellte sich mit dem Rücken gegen den Wind und band sich seinen Gurt anders um, nämlich recht tief unten und recht fest.

„Es war ein Fehler, daß ich auf Nikita gehört habe,“ dachte er. „Wir hätten weiterfahren sollen; irgendwohin würden wir schon gekommen sein. Und selbst wenn wir wieder nach Grischkino zurückgekommen wären, so hätten wir wenigstens bei Taras übernachten können. Aber nun kann man hier die ganze Nacht sitzen. Ja, ich dachte doch vorhin an etwas Schönes; was war das nur? Richtig, daß Gott einem nur für tüchtige Arbeit etwas gibt, aber nicht den Taugenichtsen, Faulpelzen und Dummköpfen … Aber ich muß ein bißchen rauchen.“ Er setzte sich hin, holte sein Zigarettenetui hervor, legte sich auf den Bauch nieder und beschirmte die Flamme mit dem Schoße des Pelzes gegen den Wind; aber der Wind fand trotzdem seinen Weg und löschte die Streichhölzer eines nach dem andern aus. Endlich gelang es ihm mit besonderer Kunst, eine Zigarette in Brand zu bekommen, und daß er das erreicht hatte, freute ihn gewaltig. Allerdings rauchte weit mehr der Wind als er selbst die Zigarette auf; aber er konnte doch etwa drei Züge tun und kam dadurch wieder in vergnügtere Stimmung. Er streckte sich wieder im Schlitten aus, jetzt mit dem Kopfe nach dem Hinterteil desselben, wickelte sich ein, überließ sich wieder seinen Erinnerungen und Träumereien und versank in Halbschlummer. Aber auf einmal war es ihm, als bekäme er einen Stoß, und er wachte auf. Hatte der Braungelbe ein Maulvoll Stroh unter ihm hervorgezogen, oder war es irgendwelche Aufregung in seinem Innern gewesen – genug, er erwachte, und das Herz begann ihm so schnell und so heftig zu schlagen, daß es ihm schien, als zittere der Schlitten unter ihm. Er öffnete die Augen. Um ihn herum war alles unverändert; nur heller schien es ihm geworden zu sein. „Es tagt,“ dachte er, „es kann nicht mehr lange hin sein bis zum Morgen.“ Aber sogleich fiel ihm ein, daß die größere Helligkeit nur davon herrührte, daß der Mond aufgegangen war. Er richtete sich auf und blickte zuerst nach dem Pferde. Der Braungelbe stand noch immer mit dem Hinterteile gegen den Wind und zitterte am ganzen Leibe. Der mit Schnee bedeckte Sack hatte sich auf der einen Seite umgeschlagen, der Umlaufriemen war schief gerutscht, und der von Schnee bedeckte Kopf mit dem flatternden Haarschopf und der flatternden Mähne war jetzt im Hellen deutlicher sichtbar. Wasili Andrejitsch beugte sich über die Rückwand des Schlittens und blickte nach hinten. Nikita saß noch immer in derselben Stellung da, in der er sich hingesetzt hatte. Die Packleinwand, die er über sich gebreitet hatte, und seine Beine waren dicht mit Schnee bedeckt. „Wenn der Mensch nur nicht erfriert; seine Kleidung ist gar zu schlecht. Dann werde ich noch dafür verantwortlich gemacht werden. Er hat sich auch bei dem Umherlaufen übermäßig angestrengt, und die beste Konstitution hat er sowieso nicht,“ dachte Wasili Andrejitsch und wollte schon dem Pferde den Sack abnehmen und Nikita damit zudecken; aber es war ihm doch zu kalt, um aufzustehen und hin und her zu gehen; auch fürchtete er, das Pferd könne ihm erfrieren. „Wozu habe ich ihn überhaupt mitgenommen? Daran ist nur sie mit ihrer Dummheit schuld,“ dachte Wasili Andrejitsch, in Erinnerung an seine ungeliebte Frau, und streckte sich wieder auf seinem früheren Platze aus, mit dem Kopfe nach dem Vorderteile des Schlittens. „So hat auch mein Onkel einmal eine ganze Nacht im Schnee zugebracht,“ fiel ihm ein, „und es hat ihm nichts geschadet. Aber freilich, Sewastjan,“ hier kam ihm ein anderer Fall ins Gedächtnis, „als man den ausgrub, da war er tot, ganz starr, wie ein geschlachtetes Rind, das man hat steif frieren lassen.“

„Die Eichen werden gute Schlittenkufen geben. Selbstverständlich auch Balken. Und Brennholz mag wohl jede Dessätine noch dreißig Klafter liefern,“ so rechnete er, den Wert des Waldes abschätzend, den er im Herbst besichtigt hatte und jetzt zu kaufen beabsichtigte. „Aber zehntausend Rubel werde ich ihm doch nicht geben, sondern nur achttausend; und dann mache ich ihm noch einen Abzug für die Lichtungen. Den Feldmesser werde ich schmieren; hundert oder auch hundertfünfzig Rubel muß ich ihm wohl in den Rachen werfen, dann wird er mir schon so ein fünf Dessätinen Lichtungen herausmessen. Und für achttausend Rubel wird er mir den Wald schon lassen; dreitausend lege ich ihm gleich ohne weiteres bar hin. Da mache ich mir keine Sorge; er wird sich schon herumkriegen lassen,“ dachte er und fühlte mit dem Oberarm nach den Banknoten in der Brusttasche. „Und wie wir von der Wegscheide an uns haben verirren können, das mag der Himmel wissen. Hier müßte doch ein Wald sein und die Hütte des Waldwächters. Wenn doch ein Hund zu hören wäre. Aber gerade wenn's nötig ist, bellen die verdammten Köter nicht.“ Er öffnete ein wenig den Kragen, horchte hinaus und blickte umher. Zu sehen war in der Dunkelheit nur als schwarze Masse der Kopf des Braungelben und sein Rücken, auf dem der Sack hin und her wehte; zu hören war immer nur dasselbe Pfeifen des Windes, das Flattern und Knattern des Tuches an der Deichsel und der wie Peitschenhiebe klingende Ton des gegen die Bastwand des Schlittens getriebenen Schnees. Er mummte sich wieder ein. „Wenn man das gewußt hätte, wäre man ja lieber da über Nacht geblieben. Na, ganz egal, dann kommen wir eben morgen hin. Nur daß ich einen Tag verloren habe. Aber bei solchem Wetter werden die andern auch nicht hinfahren.“ Und nun fiel ihm ein, daß er am nächsten Tage vom Fleischer Geld für Hammel zu erhalten hatte. „Er wollte selbst kommen; nun wird er mich nicht zu Hause treffen, und meine Frau wird nicht verstehen, das Geld in Empfang zu nehmen; sie ist doch gar zu ungebildet. Auf die richtigen Umgangsformen versteht sie sich nicht,“ dachte er weiter, in Erinnerung daran, daß sie nicht verstanden hatte, sich dem Landkommissär gegenüber zu benehmen, der gestern zum Feiertage bei ihm zu Besuch gekommen war. „Es ist ja auch erklärlich; sie ist eben ein Frauenzimmer; wo hätte sie denn auch etwas gesehen und gelernt? Als meine Eltern noch lebten, wie sah damals unser jetziges Hauswesen aus? Alles hatte nur einen sehr geringen Zuschnitt; mein Vater war ja für einen Bauer wohlhabend, aber eben nur ein Bauer; eine Graupenmühle und eine Herberge, das war das ganze Vermögen. Und was habe ich in den fünfzehn Jahren daraus gemacht? Ich habe einen Laden, zwei Schenken, eine Mühle, eine Getreidehandlung. Zwei Güter habe ich in Pacht. Mein Haus und mein Speicher haben Blechdächer,“ sagte er sich mit Stolz. „Das ist jetzt eine andere Sache als zu Lebzeiten meines Vaters! Wer ist jetzt in der ganzen Gegend der angesehenste Mann? Brechunow!“

Wasili Andrejitsch schüttelte mißbilligend den Kopf zu dem, was Nikita tat, wie er denn überhaupt gegen die Unbildung und Dummheit des niedrigen Volkes eine starke Verachtung hegte, und traf nun auch seinerseits seine Vorbereitungen für die Nacht.

Unterdessen hatte Wasili Andrejitsch seinen Pelz aufgemacht und rieb nun, die Schöße desselben als Windschutz benutzend, ein Streichholz nach dem andern an dem stählernen Schächtelchen; aber die Hände zitterten ihm, und die aufflammenden Streichhölzer erloschen eines nach dem andern im Winde, teils ehe sie noch recht in Brand geraten waren, teils gerade in dem Augenblicke, wo er sie an die Zigarette heranbrachte. Endlich brannte ein Streichholz gut und erleuchtete für einen Augenblick die Innenseite seines Pelzes, seine Hand mit dem goldenen Ringe an dem nach innen gebogenen Zeigefinger und das mit Schnee bedeckte Haferstroh, das unter dem Sacke hervorschaute – und die Zigarette kam in Brand. Ein paarmal zog er gierig den Rauch ein, schluckte ihn hinunter, ließ ihn durch den Schnurrbart hinaus und wollte eben noch einmal einen Zug tun, als der Tabak mitsamt dem Feuer vom Winde weggerissen wurde und nach derselben Seite davonflog wie vorher das Stroh.

Und nachdem er das eine und das andere seinem Herrn unter dem Leibe weggezogen hatte, ging er hinter die Rücklehne des Schlittens, grub sich dort im Schnee eine Grube und legte das Stroh hinein. Dann zog er sich die Mütze tief ins Gesicht, wickelte sich fest in seinen Mantel, bedeckte sich darüber noch mit der Packleinwand, setzte sich auf das ausgebreitete Stroh und lehnte sich gegen das aus Bast verfertigte Hinterteil des Schlittens, das ihn gegen den Wind und den Schnee schützte.

So stand Wasili Andrejitsch wohl zwanzigmal auf und legte sich wieder hin. Es schien ihm, als wolle diese Nacht gar kein Ende nehmen. „Jetzt muß der Morgen schon nahe sein,“ dachte er einmal, als er sich erhob und um sich blickte. „Ich will mal nach der Uhr sehen. Ich werde zwar tüchtig frieren, wenn ich meine Umhüllung aufmache; aber wenn ich erfahre, daß es auf den Morgen zugeht, dann wird mir gleich fröhlicher zumute sein. Dann wollen wir auch bald anspannen.“ Im Grunde seines Herzens wußte Wasili Andrejitsch, daß es noch nicht Morgen sein konnte; aber seine Angst wuchs immer mehr, und er wünschte gleichzeitig, sowohl die Wahrheit festzustellen als auch sich selbst zu täuschen. Vorsichtig öffnete er die Haken seines Halbpelzes, steckte die Hand an der Brustgegend hinein und wühlte lange umher, bis er zur Weste gelangte. Mühsam, mühsam zog er seine silberne, mit emaillierten Blumen verzierte Uhr heraus und versuchte zu sehen, wie spät es war. Aber ohne Licht war nichts zu erkennen. Er legte sich wieder auf den Bauch, ebenso wie eine Weile vorher, als er sich die Zigarette anzündete, holte die Streichhölzer heraus und machte sich daran, eines anzustreichen. Diesmal ging er mit größerer Sorgfalt zu Werke: er suchte durch Betasten mit den Fingern dasjenige Hölzchen heraus, welches die größte Phosphormasse hatte, und es gelang ihm gleich beim erstenmal, es zum Brennen zu bringen. Er hielt das Zifferblatt unter die Flamme und betrachtete es: aber er traute seinen Augen nicht; es war erst zehn Minuten über zwölf. Die ganze Nacht lag noch vor ihm.

Er breitete das übriggebliebene Stroh im Schlitten gleichmäßig aus, aber so, daß es da, wo er mit der Seite des Körpers darauf liegen wollte, etwas dichter war; darauf steckte er die Hände in die Ärmel und suchte sich mit dem Kopfe eine bequeme Lage in einer Ecke des Schlittens am Vorderteil, das ihm einen Schutz gegen den Wind gewährte. Zu schlafen beabsichtigte er nicht. Er lag da und dachte nach; er dachte immer nur an ein und dasselbe, was den einzigen Zweck und Inhalt, die Freude und den Stolz seines Lebens bildete: wieviel Geld er schon erworben habe und noch erwerben könne, und wieviel Geld andere Leute, die er kannte, erworben hätten und besäßen, und auf welche Weise diese anderen ihr Geld erworben hätten und immer noch mehr erwürben, und daß er, in derselben Weise wie sie, noch sehr viel Geld erwerben könne.

Er band das Pferd los, warf ihm die Zügel auf den Hals und wollte aufsteigen; aber es mißglückte ihm. Dann stellte er sich auf den Schlitten und wollte vom Schlitten aus aufsteigen. Aber der Schlitten schwankte unter seinem Gewichte, und er kam wieder nicht hinauf. Beim dritten Male stellte er das Pferd wieder dicht neben den Schlitten, und indem er vorsichtig auf den Rand des Schlittens trat, gelang es ihm endlich insoweit, daß er mit dem Bauche über den Rücken des Pferdes zu liegen kam. Nachdem er so ein Weilchen still gelegen hatte, schob er sich einmal und noch einmal vorwärts und brachte endlich das Bein über den Rücken des Pferdes hinüber; er setzte sich zurecht und stützte sich mit den Füßen in Ermangelung von Steigbügeln auf den langen Umlaufriemen. Nikita war von dem Stoße, den ihm der schwankende Schlitten versetzt hatte, aufgewacht und richtete sich auf; und es kam Wasili Andrejitsch so vor, als ob er etwas sagte.

Einmal kam es ihm vor, als höre er in der Ferne Hähne krähen. Ein Gefühl der Freude stieg in ihm auf; er schlug den Kragen des Pelzes zurück und horchte gespannt; aber wie sehr er auch sein Gehör anstrengte, es war nichts zu hören als das Geräusch des Windes, der um die Deichselstangen pfiff, und das Geräusch des Schnees, der gegen die Bastwand des Schlittens schlug. Nikita saß noch immer so da, wie er sich am Abend hingesetzt hatte; er hatte sich die ganze Zeit über nicht gerührt und seinem Herrn nicht einmal geantwortet, der ihn einige Male angerufen hatte. „Der hat keinen Kummer; er schläft gewiß,“ dachte Wasili Andrejitsch ärgerlich, indem er über die Rücklehne des Schlittens hinüber auf den dicht beschneiten Nikita hinblickte.

Das Tuch begann sofort wild zu flattern; bald legte es sich eng an die eine Deichselstange an, bald wehte es plötzlich zur Seite, spannte sich und knatterte.

Anscheinend nur, um nicht Nikita durch Ablehnung des freundlich angebotenen Strohes zu kränken, das dieser ihm unter die Schnauze gehalten hatte, zog der Braungelbe einmal mit einem plötzlichen Ruck ein Büschel Stroh aus dem Schlitten; aber sofort sagte er sich auch, daß es sich jetzt nicht darum handle, Stroh zu fressen, ließ es wieder fallen, und der Wind riß im gleichen Augenblicke das Stroh auseinander, trug es davon und überschüttete es mit Schnee.

Als Nikita mit dieser Arbeit fertig war, trat er wieder zum Schlitten. „Die Packleinwand werden Sie wohl nicht nötig haben?“ sagte er. „Und etwas Stroh können Sie mir auch geben.“

Aber der Braungelbe ließ sich augenscheinlich durch Nikitas Reden nicht beruhigen und blieb aufgeregt. Er trat von einem Beine auf das andere, drückte sich an den Schlitten, stellte sich mit dem Hinterteile gegen den Wind und rieb seinen Kopf an Nikitas Ärmel.

Aber auch schon diese wenigen Schlucke Tabaksrauch hatten Wasili Andrejitsch in heitrere Stimmung versetzt.

„Das fehlte noch, daß man täte, was einem solche Dummköpfe raten! Na ja, ich soll wohl hier um nichts und wieder nichts umkommen?“ rief Wasili Andrejitsch, schob sich die auseinanderflatternden Schöße seines Pelzes unter die Knie, wendete das Pferd um und trieb es an, vom Schlitten weg in der Richtung, wo nach seiner Meinung der Wald und das Wächterhäuschen sein mußten.

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