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Herr und Knecht

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III

Am Anfang der Dorfstraße war es noch windig, und der Weg war verschneit; aber in der Mitte des Dorfes wurde es still, warm und angenehm. Auf einem Gehöfte bellte ein Hund; bei einem andern kam eine Frau, die sich den Rock über den Kopf geschlagen hatte, von irgendwo hergelaufen und blieb, als sie in die Haustür trat, auf der Schwelle stehen, um nach den Vorbeifahrenden hinzusehen. Aus der Mitte des Dorfes hörte man Mädchen Lieder singen. Wind und Schnee und Kälte, alles schien in dem Dorfe gelinder zu sein.

„Das ist ja Grischkino,“ sagte Wasili Andrejitsch.

„Wo seid ihr her?“ schrie Wasili Andrejitsch.

„Wo ihr her seid, frage ich.“

„Wir wollen nach Gorjatschkino.“

„Wir fahren ja schon wieder falsch,“ sagte Wasili Andrejitsch.

„Winterweg, Winterweg. Gleich wenn ihr hinkommt, sind da Sträuche, und gegenüber von den Sträuchen steht noch eine große, eichene Merkstange mit Laub daran; da ist es.“

„Wie könnt ihr euch hier verirren! Wendet um und fahrt geradeaus auf der Dorfstraße zurück, und dann, wenn ihr hinauskommt, immer geradeaus. Nicht links. So kommt ihr an die große Landstraße; und von der müßt ihr dann links abbiegen.“

„Wie kommt ihr denn dann hierher? Da hättet ihr doch über Malachowo fahren sollen.“

„Wer soll es denn auch sonst sein?“ erwiderte Nikita. „Aber was haben wir zu tun, lieber Mann, damit wir uns nicht noch einmal verirren?“

„Wer kommt denn da angefahren?“ schrie der Mann, hielt das Pferd an, faßte, sobald er Wasili Andrejitsch erkannte, sofort nach der Gabeldeichsel, griff an ihr mit den Händen weiter, gelangte so zum Schlitten und setzte sich auf den Rand desselben.

„Wenn wir vom Wege abgekommen sind, müssen wir ihn wiedersuchen,“ antwortete Nikita kurz, stand auf und begann wieder, mit seinen einwärts gedrehten Füßen behend ausschreitend, durch den Schnee zu wandern. Lange ging er so hin und her, indem er bald aus dem Gesichtskreise verschwand, bald wieder auftauchte und wieder verschwand; endlich kehrte er zurück.

„Wenn wir doch wenigstens die Bauern hörten, die wir vorhin trafen,“ sagte Wasili Andrejitsch.

„Was?“

„Was doch der Branntwein tut,“ sagte Nikita. „Ganz zuschanden gequält haben sie das Pferdchen. Die reinen Barbaren!“

„Vorwärts, vorwärts! Hau zu, Semjon! Fahr ihnen vor! Hau zu!“

„Und wo ist die Stelle, wo man von der großen Landstraße abbiegen muß? Ist es ein unbezeichneter Sommerweg oder ein bezeichneter Winterweg?“ fragte Nikita.

„Sonst bleibt doch lieber hier über Nacht!“ rief ihnen Isai nach.

„Nein, lieber Freund, wir müssen notwendig weiterfahren.“

„Ja, das stimmt,“ antwortete Nikita.

„Ihr müßt es wohl sehr eilig haben. Und wer ist denn das hier? Ah! Nikita Stepanütsch!“

„Hau zu! Laß sie nicht vor!“

„Fahrt doch vorbei! … he! … fahrt doch vor!“ wurde ihnen aus dem Schlitten in herausforderndem Tone zugerufen.

„Es sind keine Merkstangen zu sehen. Wir müssen wieder vom Wege abgekommen sein.“

„Ein hübsches Pferdchen,“ bemerkte Isai, das Pferd musternd, und zog ihm an dem aufgebundenen Schwanze den locker gewordenen Knoten mit wohlgeübtem Griffe bis ganz an die Rübe hinauf.

„Die sind gewiß zum Feste auf Besuch gewesen,“ sagte Nikita zu Wasili Andrejitsch.

„Die haben uns nicht eingeholt; also müssen wir weit vom Wege abgekommen sein. Aber vielleicht haben die sich auch selbst verirrt,“ bemerkte Nikita.

„Das hätten wir freilich sollen, aber wir haben den Weg verfehlt,“ antwortete Wasili Andrejitsch und hielt das Pferd an.

„Da wollt ihr wohl hier über Nacht bleiben, wie?“

„Da ist kein Weg; vielleicht weiter nach vorn,“ sagte er und setzte sich auf den Schlitten.

„Aus A…a…a…!“ war nur zu hören.

„Aus A…a…a…!“ schrie einer der Bauern aus Leibeskräften; aber trotzdem war es unmöglich, den Namen des Dorfes zu verstehen.

„Ah, Wasili Andrejitsch! Wohin geht denn die Reise?“ fragte Isai und hüllte beim Reden Nikita in eine Wolke von Branntweinduft ein.

Wasili Andrejitsch wendete um und fuhr wieder durch die Ortschaft zurück.

Wasili Andrejitsch kniff die Augen zusammen, beugte den Kopf nach vorn und hielt Ausschau nach den Stangen; großenteils aber ließ er das Pferd gewähren, da er zu dessen Klugheit viel Vertrauen hatte. Und wirklich kam das Pferd nicht vom Wege ab, sondern ging, bald nach rechts bald nach links biegend, unbeirrt weiter, immer den Krümmungen des Weges folgend, den es unter den Füßen fühlte. Auf diese Art sahen sie fortwährend die Merkstangen, bald zur Rechten bald zur Linken, obgleich der Schneefall und der Wind stärker geworden waren.

Wasili Andrejitsch begann vorbeizufahren. In dem Schlitten saßen drei Bauern und ein Weib. Offenbar waren sie auf der Heimfahrt von einem Festbesuche. Einer der Bauern schlug mit einer Gerte das kleine Pferdchen fortwährend auf das Hinterteil. Die beiden andern, die gleichfalls vorn im Schlitten saßen, gestikulierten erregt mit den Armen und schrien etwas. Die Frau, ganz vermummt und mit Schnee bedeckt, saß still im Hinterteil des Schlittens, wie ein Vogel, der seine Federn sträubt.

Und es war auch wirklich Grischkino. Es stellte sich also heraus, daß sie zu weit nach links geraten und ungefähr acht Werst in falscher Richtung gefahren, dabei aber doch ihrem Bestimmungsorte näher gekommen waren. Von Grischkino nach Gorjatschkino waren noch etwa fünf Werst.

So waren sie etwa zehn Minuten gefahren, als sich plötzlich gerade vor dem Pferde etwas Schwarzes zeigte, das sich in dem schrägen Netzwerk des vom Winde getriebenen Schnees bewegte. Das waren Leute, die nach derselben Richtung fuhren. Der Braungelbe hatte sie bald eingeholt und schlug mit den Füßen gegen die Rücklehne des vor ihnen fahrenden Schlittens.

Sie fuhren wieder auf der glatt gefahrenen Straße zurück, auf welcher hier und da frischer Mist dunkle Flecke bildete, kamen bei dem Gehöft mit der Wäsche vorbei, wo inzwischen das weiße Hemd sich zum Teil losgerissen hatte und nur noch an dem einen steif gefrorenen Ärmel hing, fuhren wieder hinaus zu den unheimlich raschelnden Weidenbäumen und gelangten wieder auf das freie Feld. Das Schneetreiben hatte nicht nachgelassen, sondern war im Gegenteil noch heftiger geworden. Der ganze Weg war verschneit, und nur an den Merkstangen konnte man erkennen, daß man nicht von ihm abgekommen war. Aber auch die Merkstangen auf der vor ihm liegenden Wegstrecke zu unterscheiden war für Wasili Andrejitsch sehr schwierig, weil sie gegen den Wind fuhren.

Nikita hatte nichts zu tun und versank wieder in Halbschlummer. Auf einmal blieb das Pferd stehen; Nikita hackte mit der Nase nach vorn und wäre beinahe hinausgefallen.

In der Mitte des Dorfes stießen sie auf einen hochgewachsenen Mann, der mitten auf der Straße ging.

Es war dies ein Bauer, namens Isai, welchen Wasili Andrejitsch kannte; in der ganzen Umgegend war er als der größte Pferdedieb berüchtigt.

Es fing schon an merklich dunkel zu werden. Das Schneetreiben hatte nicht zugenommen, aber sich auch nicht verringert.

Einige Minuten lang war noch das Schnaufen des gequälten Pferdes und das Geschrei der betrunkenen Bauern zu hören; dann wurde das Schnaufen still, und darauf verstummte auch das Geschrei. Und nun hörten sie wieder ringsum nichts weiter als den an ihren Ohren vorbeipfeifenden Wind und ab und zu das leise Knarren der Kufen an kahlgewehten Stellen des Weges.

Diese Begegnung hatte auf Wasili Andrejitsch ermunternd und ermutigend gewirkt, und er trieb das Pferd, auf das er sich verließ, dreister an, ohne mehr besonders auf die Merkstangen achtzugeben.

Die Schlitten stießen mit den Flügeln aneinander, verfingen sich beinahe, kamen aber doch wieder los, und der Bauerschlitten begann zurückzubleiben.

Das zottige, dickbauchige Pferdchen, das ganz mit Schnee bedeckt war und unter dem niedrigen Krummholz schwer keuchte, schleppte sich augenscheinlich unter Aufbietung seiner letzten Kräfte mit den kurzen Beinen, die es ganz unter den Leib zog, durch den tiefen Schnee. Der Kopf des offenbar noch jungen Tieres, mit hinaufgezogener Unterlippe wie bei einem Fische, mit weit geöffneten Nüstern und angstvoll zurückgelegten Ohren, hielt sich einige Sekunden lang neben Nikitas Schulter und begann dann zurückzubleiben.

Aber Wasili Andrejitsch gab ihm keine Antwort, sondern trieb das Pferd an: fünf Werst ebenen Weges und davon zwei durch Wald, die hoffte er mit Leichtigkeit zurücklegen zu können, um so mehr da, wie es schien, der Wind sich gelegt und das Schneetreiben nachgelassen hatte.

„Wohin sollen wir denn nun fahren?“ fragte Wasili Andrejitsch.

„Wir müssen dem Pferde seinen eigenen Willen lassen,“ antwortete Nikita. „Es wird uns schon irgendwohin bringen. Geben Sie mir die Leine.“

Wasili Andrejitsch überließ ihm die Leine um so lieber, als ihm die Hände trotz der warmen Handschuhe zu frieren begannen.

Nikita nahm die Leine; er hielt sie nur, vermied es aber, sie zu bewegen, und freute sich über die Klugheit seines Lieblings. In der Tat machte das kluge Pferd, das bald das eine bald das andre Ohr bald nach der einen bald nach der anderen Seite hin drehte, allmählich mit dem Schlitten eine Wendung.

„Nur nicht reden!“ murmelte Nikita ab und zu. „Sehen Sie nur, was er tut. Geh nur, geh nur; wirst es schon finden. So ist's richtig, so ist's richtig.“

Sie bekamen jetzt den Wind in den Rücken; es wurde wärmer.

„Und klug ist er,“ fuhr Nikita fort sich über das Pferd zu freuen. „Unser junger ‚Kirgise‘ ist ja stark, aber nur dumm. Aber dieser, sehen Sie bloß, was er mit den Ohren anstellt. Der braucht keinen Telegraphen; eine Werst weit spürt er alles.“

Und es war noch keine halbe Stunde vergangen, als vor ihnen wirklich eine dunkle Masse, ein Wald oder ein Dorf, auftauchte und rechter Hand wieder Merkstangen sichtbar wurden. Offenbar waren sie wieder auf einen Weg gekommen.

„Aber das ist ja wieder Grischkino,“ rief auf einmal Nikita.

Wirklich, jetzt stand da links von ihnen jene selbe Getreidedarre, von der der Schnee herunterstiebte, und weiterhin kam dieselbe Leine mit der steif gefrorenen Wäsche, den Hemden und Unterhosen, die noch immer ebenso wild im Winde flatterten.

Wieder fuhren sie in die Dorfstraße hinein, wieder wurde es still, warm und angenehm, wieder sahen sie den frischen Mist auf dem Wege, wieder hörten sie Stimmen und Lieder, wieder fing der Hund an zu bellen. Es war schon so dunkel geworden, daß hinter einigen Fenstern Licht angezündet war.

In der Mitte der Dorfstraße lenkte Wasili Andrejitsch das Pferd zu einem großen, zweistöckigen Hause aus Backstein und hielt es vor dem Tore an.

„Ruf doch mal Taras heraus,“ sagte er zu Nikita.

Nikita trat an das stark verschneite, erleuchtete Fenster, in dessen Scheine die vorbeiflatternden Schneeflocken glänzten, und klopfte mit dem Peitschenstiel an.

„Wer ist da?“ antwortete eine Stimme auf Nikitas Pochen.

„Aus Krestü, lieber Mann; Brechunow und sein Knecht,“ antwortete Nikita. „Komm doch mal auf einen Augenblick heraus.“

Der Mann drinnen trat vom Fenster zurück, und gleich darauf hörte man, wie die Tür nach dem Flur geöffnet wurde, und wie dann die Klinke der Außentür knackte; und die Tür wegen des Windes festhaltend, trat ein alter, weißbärtiger Bauer heraus, mit hoher Mütze, einen Halbpelz über das weiße Feiertagshemd geworfen; hinter ihm stand ein junger Bursche in rotem Hemde, mit Lederstiefeln.

„Bitte näherzutreten,“ sagte der Alte.

„Wir haben den Weg verfehlt, Bruder,“ sagte Wasili Andrejitsch. „Wir wollten nach Gorjatschkino und gerieten hierher zu euch. Dann fuhren wir wieder los und haben uns noch einmal verirrt.“

„Ei, ei, da seid ihr ja arg in der Irre gefahren,“ erwiderte der Alte. „Peter, geh und mach das Tor auf,“ wandte er sich an den jungen Burschen im roten Hemde.

„Schön! Gleich!“ antwortete dieser in munterem Tone und lief in den Hausflur.

„Über Nacht bleiben wollen wir nicht, Bruder,“ sagte Wasili Andrejitsch.

„Wohin wollt ihr denn jetzt noch fahren? Es ist ja schon Nacht. Übernachtet doch hier.“

„Das würde ich gern tun; aber ich muß fahren.“

„Nun, dann wärme dich wenigstens auf; der Samowar ist gerade fertig,“ sagte der Alte.

„Sich ein bißchen aufwärmen, das könnte man schon tun,“ erwiderte Wasili Andrejitsch. „Dunkler wird es nicht werden; im Gegenteil, sobald der Mond aufgeht, wird es heller. Komm, Nikita, wir wollen hineingehen und uns aufwärmen.“

„Schön, das können wir ja,“ antwortete Nikita, der arg durchgefroren war und nichts lieber wünschte, als seine erstarrten Glieder am Ofen zu erwärmen.

Wasili Andrejitsch ging mit dem Alten in das Haus hinein, Nikita aber fuhr durch das von Peter geöffnete Tor und brachte nach dessen Anweisung das Pferd unter das Schutzdach des Schuppens. Unten auf dem Boden lag viel Mist, und das hohe Krummholz stieß oben gegen die Querstange. Die Hühner mit ihrem Hahn, die sich bereits auf die Querstange gesetzt hatten, fingen unzufrieden an zu gackern und klammerten sich mit den Krallen fester an die Querstange. Die geängstigten Schafe drängten sich in dichtem Haufen zur Seite; ihre hornigen Klauen klapperten laut auf dem gefrorenen Miste. Ein Hund, offenbar ein noch junges Tier, stieß zunächst ein entsetztes Gewinsel aus und bellte dann in seinem Schreck und Ingrimm den fremden Eindringling heftig an.

Nikita redete mit allen: er entschuldigte sich bei den Hühnern und suchte sie durch die Versicherung zu beruhigen, daß er sie nicht weiter belästigen werde; er machte den Schafen Vorwürfe, daß sie sich fürchteten, ohne selbst zu wissen wovor, und redete, während er das Pferd festband, unaufhörlich dem jungen Hunde ins Gewissen.

„So, jetzt wird es in Ordnung sein,“ sagte Nikita und klopfte nun den Schnee von seinem eigenen Leibe ab. „Aber was er für einen Spektakel macht!“ fügte er mit Bezug auf den Hund hinzu. „Warte du nur! Na, nun genug … dummer Kerl. Genug. Regst dich bloß auf,“ sagte er. „Es sind ja keine Diebe; gute Bekannte …“

„Das sind, wie man so sagt, die drei häuslichen Ratgeber,“ sagte der junge Bursche und schob mit kräftigen Armen den noch draußen stehenden Schlitten unter das Schutzdach.

„Was heißt das: Ratgeber?“ fragte Nikita.

„So steht im Paulson gedruckt: ‚Schleicht ein Dieb zum Hause, so bellt der Hund; das bedeutet: schlaf nicht, paß auf. Der Hahn kräht; das bedeutet: steh auf. Die Katze wäscht sich; das bedeutet: ein werter Gast kommt; mach dich bereit, ihn zu bewirten,‘“ sagte der junge Bursche lächelnd her.

Peter konnte lesen und schreiben, wußte das einzige Buch, das er besaß, das Lesebuch von Paulson, beinah auswendig und zitierte, namentlich wenn er, wie an diesem Tage, etwas getrunken hatte, gern daraus Denksprüche, die ihm zu der Gelegenheit zu passen schienen.

„Das stimmt,“ erwiderte Nikita.

„Du bist wohl tüchtig durchgefroren, Onkelchen?“ fragte Peter.

„Ja freilich,“ antwortete Nikita. Sie gingen über den Hof und durch den Flur in die Stube.

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