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Swijashskiy nahm Lewin unter den Arm und ging mit ihm zu seinen Freunden.

Jetzt konnte Lewin Wronskiy nicht mehr vermeiden, welcher bei Stefan Arkadjewitsch und Sergey Iwanowitsch stand und offen dem herankommenden Lewin entgegenblickte.

„Wirf rechts,“ flüsterte Stefan Arkadjewitsch Lewin zu, als er zusammen mit dessen Bruder hinter dem Vorsteher zu dem Tische schritt.

„Wie kommt es denn — Ihr seid doch ständiger Dorfbewohner, nicht aber Friedensrichter? Ihr seid ja nicht in der Uniform eines Friedensrichters?“

„Wie freue ich mich, daß ich Koznyscheff gehört habe! Da ist es schon der Mühe wert, ein wenig zu hungern. Es war reizend! Wie klar und verständlich alles! Bei uns im Gericht spricht niemand so. Nur Maydel, und selbst der ist noch bei weitem nicht so redegewandt.“

„Werdet Ihr es thun?“ frug Lewin.

„Wer da will,“ sagte Swijashskiy.

„Was verhandelt man jetzt?“ frug Lewin, Swijashskiy und Wronskiy anblickend.

„Was für ein Kenner der Swijashskiy ist. Wie klar bei ihm alles ist!“

„Und wenn er es verweigert, wer wird dann ballotieren?“ frug Lewin, Wronskiy anschauend.

„Sjnetkoff. Er muß abschläglich antworten oder beistimmen,“ antwortete Swijashskiy.

„Sehr erfreut. Mir scheint, als hätte ich einmal das Vergnügen gehabt, Euch begegnet zu sein — bei der Fürstin Schtscherbazkaja,“ sagte er, Lewin die Hand reichend.

„O, über dieses Original!“ sagte Stefan Arkadjewitsch mit seinem mandelsüßesten Lächeln, „indessen gehen wir; man scheint zu ballotieren.“

„Nur ich nicht,“ sagte Swijashskiy, in Verlegenheit geratend und einen erschreckten Blick auf den neben ihm mit Sergey Iwanowitsch stehenden, bissigen Herrn werfend.

„Nun, jetzt ist es wohl zu Ende?“ frug Lewin Sergey Iwanowitsch.

„Nun, hat er denn beigestimmt oder nicht?“

„Nun wer denn; Njewjedowskiy?“ frug Lewin, im Gefühl, daß er sich verwickelte.

„Ja; ich entsinne mich Eurer Begegnung recht wohl,“ sagte Lewin, purpurrot werdend, und wandte sich sogleich, um mit seinem Bruder zu sprechen.

„Ja; das berührt Einen bei der schwachen Seite,“ sagte Wronskiy. „Und hat man sich einmal mit der Sache abgegeben, so will man sie auch ausführen. Es ist ein Kampf!“ sagte er, stirnrunzelnd und die starken Kinnbacken zusammenbeißend.

„Ich werde es in keinem Falle thun,“ antwortete der sarkastische Herr. Es war Njewjedowskiy selbst. Swijashskiy machte Lewin mit demselben bekannt.

„Ich glaube dies nicht; im Gegenteil,“ sagte Wronskiy ruhig, aber mit Verwunderung.

„Ich begreife nicht,“ sagte Sergey Iwanowitsch, den ungeschickten Gang seines Bruders bemerkend, zu diesem, „ich begreife nicht, wie es möglich ist, bis zu solchem Grade jeglichen politischen Taktes bar zu sein. Das ist es eben, was wir Russen nicht haben. Der Gouvernementsvorsteher ist unser Gegner, und du bist mit ihm ami cochon und bittest ihn, zu ballotieren. Graf Wronskiy — ich mache ihn mir ja auch nicht zum Freunde — hat mich zum Essen eingeladen. Ich werde nicht zu ihm fahren, aber er ist auf unserer Seite, weshalb soll ich uns deshalb einen Feind aus ihm machen? Dann frägst du Njewjedowskiy, ob er ballotieren würde. Das geht doch nicht an.“

„Hat es auch deine Achillesferse getroffen?“ sagte Stefan Arkadjewitsch, Wronskiy zublinzelnd, „das ist etwas nach Art der Wettrennen. Man kann da eine Wette machen.“

„Es wird ballotiert für die Kandidaten des Gouvernementsvorstehers des Adels, Stabrittmeisters Evgeniy Iwanowitsch Apuchtin!“

„Es ist doch nur eine Spielerei,“ unterbrach ihn Lewin. „Die Friedensrichter sind uns nicht notwendig. Ich habe innerhalb acht Jahren nicht eine einzige Klage gehabt, und was ich gehabt habe, das wurde durch Ersatzleistung ausgeglichen. Der Friedensrichter wohnt in einer Entfernung von vierzig Werst von mir. In einer Sache, in welcher es sich um zwei Rubel handelt, muß ich dann einen Vertrauensmann, welcher mich fünfzehn kostet, schicken.“

„Es fängt eben erst an,“ versetzte für Sergey Iwanowitsch lächelnd Swijashskiy; „der Kandidat des Vorstehers kann mehr Kugeln erhalten.“

„Du sagst da, daß dies alles fades Zeug sei, befassest du dich aber damit, so verwickelst du dich dennoch.“

„Dies wäre aber noch schlimmer. Njewjedowskiy und Swijashskiy waren ja die zwei Kandidaten.“

„Das kommt daher, daß ich glaube, das Friedensgericht repräsentiert eine thörichte Institution,“ antwortete Lewin finster, der schon längst darauf gewartet hatte, mit Wronskiy ins Gespräch zu kommen, um seine Taktlosigkeit bei Gelegenheit wieder auszugleichen.

„Darum handelt es sich ja eben; weder dies noch das ist der Fall,“ sagte Wronskiy.

„Ach, ich verstehe nichts davon! Alles das ist doch fades Zeug,“ antwortete Lewin mürrisch.

„Ach ja,“ versetzte Wronskiy zerstreut.

Sie gingen auseinander.

Mit feinem Lächeln unterhielt sich Wronskiy mit Swijashskiy weiter, offenbar ohne den geringsten Wunsch, in ein Gespräch mit Lewin zu geraten; dieser hingegen blickte, mit dem Bruder redend, unverwandt Wronskiy an und überlegte, wovon er wohl mit demselben sprechen könnte, um seine Taktlosigkeit wieder gutzumachen.

Lewin hatte indessen jetzt jenes Kalkul vergessen, das man ihm erklärt hatte, und fürchtete, Stefan Arkadjewitsch möchte sich geirrt haben, indem er sagte „rechts“. Sujetkoff war doch offenbar der Gegner. Als er daher zum Kasten gekommen war, hielt er die Kugel in der Rechten, überlegte sich jedoch, daß er irre, und nahm, dicht vor dem Kasten, die Kugel in die linke Hand, um sie dann offenbar links zu legen.

Lewin hatte dies vollkommen vergessen. Er entsann sich erst jetzt, daß hier eine gewisse Feinheit verborgen lag, doch wurde es ihm zuviel, sich darauf besinnen zu sollen, worin sie bestand. Niedergeschlagenheit überkam ihn und er sehnte sich darnach, von diesem Haufen wegzukommen.

Lewin blieb stumm und sie betraten zusammen den großen Saal.

Er erzählte nun, wie ein Bauer einem Müller Mehl gestohlen habe, und der Bauer, als der Müller es ihm mitgeteilt, gegen diesen Verleumdungsklage eingereicht hätte. Alles das paßte nicht hierher und war dumm; und Lewin fühlte dies auch, während er sprach.

Ein Stillschweigen trat ein, während dessen Wronskiy so wie man eben auf etwas Zufälliges blickt, auf Lewin, auf dessen Füße, Uniform und Gesicht, schaute. Nachdem er die finster auf sich gerichteten Augen bemerkt hatte, äußerte er, um doch wenigstens etwas zu sagen:

Ein Kenner der Sache, welcher an dem Kasten stand, und an der bloßen Bewegung des Ellbogens erkannte, wohin jeder warf, runzelte unwillig die Stirn. Er hatte keine Lust, seinen Scharfsinn anzustrengen.

Diese waren angefüllt von geputzten Damen, die sich über das Geländer beugten, im Bemühen, nicht ein einziges Wort von dem zu verlieren, was unten gesprochen wurde. Um die Damen herum saßen und standen elegante Advokaten, Gymnasialschüler mit Augengläsern, und Offiziere. Überall wurde von den Wahlen gesprochen, und davon, wie der Vorsteher erschöpft sei, und wie vortrefflich die Debatten gegangen wären; in der einen Gruppe vernahm Lewin das Lob seines Bruders. Eine Dame sagte zu einem Advokaten:

Die Kreisvorsteher kamen mit Tellern, auf welchen die Kugeln lagen, von ihren Tischen zu dem Gouvernementstisch, und die Wahlen begannen.

Der Vorsteher war mit beträchtlicher Majorität wieder gewählt worden. Es erhob sich ein allgemeiner Lärm und man drängte nach der Thür. Sjnetkoff trat ein, und der Adel umringte ihn, unter Beglückwünschungen.

Der Gouvernementsvorsteher hatte sich, obwohl er den ihm bereiteten Verrat in der Luft liegen fühlte, und nicht alle ihn darum gebeten hatten, gleichwohl entschlossen, zu ballotieren. Im Saal wurde alles still, der Sekretär verkündete mit lauter Stimme, daß Rittmeister der Garde, Michail Ljepanowitsch Snjetkoff zum Gouvernementsvorsteher gewählt werden solle.

Da ihn niemand beachtete, und er wie es schien, von niemand vermißt wurde, begab er sich leise nach dem kleinen Saal, wo man speiste, und fühlte große Erleichterung, als er die Diener wiederum erblickte. Der alte Diener legte ihm die Speisenkarte vor, und Lewin willigte ein. Nachdem er ein Kotelett mit Fasolen gegessen und sich mit dem Diener über dessen frühere Herrschaft unterhalten hatte, begab sich Lewin, der den Saal nicht wieder zu betreten wünschte, in welchem es ihm so unangenehm war, auf die Tribünen.

Als Lewin einen freien Platz an dem Geländer gefunden hatte, beugte er sich darüber und begann Umschau zu halten und zu lauschen.

Alles war still geworden und man vernahm nur das Zählen der Kugeln. Darauf rief eine einzelne Stimme die Zahl der Wähler und der Nichtwählenden aus.

Alle Adligen saßen in Spalieren, in ihren Kreisabteilungen. In der Mitte des Saales stand ein Mann in Uniform, welcher mit klingender lauter Stimme rief:

Totenstille trat ein, und man vernahm eine schwache Greisenstimme:

„Ich verzichte!“

„Es wird ballotiert der Hofrat Peter Petrowitsch Bolj,“ begann wiederum die Stimme.

„Ich verzichte!“ ertönte eine jugendliche pfeifende Stimme.

Nochmals ertönte das Gleiche und wieder erschallte das „ich verzichte“; und so ging es eine Stunde lang fort. Auf das Geländer gestemmt, schaute und lauschte Lewin. Anfangs wunderte er sich und suchte zu erfassen, was dies alles bedeute; dann aber, nachdem er sich überzeugt hatte, er könne nichts verstehen, fing er an, sich zu langweilen. Als er sich hierauf all die Aufregung und Erbitterung, die er auf den Gesichtern aller wahrgenommen, vergegenwärtigte, wurde es ihm schwer ums Herz; er beschloß abzureisen, und ging hinab.

Als er durch die Vorhalle der Tribünen schritt, begegnete er einem auf- und niederschreitenden, bedrückt aussehenden Gymnasiasten mit thränenschwimmenden Augen. Auf der Treppe begegnete ihm ein Paar. Eine Dame, welche eilig auf den Absätzen lief, war es und der gewandte Genosse des Prokurators.

„Ich habe Euch gesagt, daß Ihr nicht zu spät kommt,“ sagte der Prokurator, gerade, als Lewin zur Seite trat, um die Dame vorüberzulassen.

Lewin war schon auf der Ausgangstreppe und zog soeben aus der Westentasche die Nummer seines Pelzes hervor, als ihn der Sekretär abfing.

„Gestattet, Konstantin Dmitritsch, man ballotiert!“

Zum Kandidaten war Njewjedowskiy, der sich so entschieden geweigert hatte, gewählt worden.

Lewin schritt zur Saalthür; sie war verschlossen. Der Sekretär pochte, die Thür öffnete sich und er befand sich zwei Gutsbesitzern mit geröteten Gesichtern gegenüber.

„In meiner Macht liegt es nicht,“ sagte der eine rotaussehende Gutsbesitzer.

Hinter den beiden hob sich das Gesicht des Gouvernementsvorstehers hervor. Dieses Gesicht erschien furchterweckend mit seinem Ausdruck von Erschöpfung und Angst.

„Ich habe dir befohlen, niemand hinauszulassen!“ schrie er den Thürhüter an.

„Ich habe nur eingelassen, Ew. Excellenz!“

„Mein Gott!“ schwer seufzend ging der Gouvernementsvorsteher, müde in seinen weißen Pantalons, den Kopf gesenkt, dahinschreitend, durch die Mitte des Saales nach dem großen Tische.

Man hatte das Amt Njewjedowskiy übertragen, wie es auch vorher geplant worden war, und dieser war jetzt Gouvernementsvorsteher. Viele befanden sich in heiterer Stimmung, viele waren zufrieden und glücklich, viele entzückt, viele unzufrieden und unglücklich. Der Gouvernementsvorsteher war in einer Verzweiflung, die er nicht verbergen konnte. Als Njewjedowskiy den Saal verließ, umringte ihn die Menge, und folgte ihm begeistert nach, so, wie sie am ersten Tage dem Gouvernementsvorsteher gefolgt war, als derselbe die Wahlen eröffnet hatte, so, wie sie Sjnetkoff gefolgt war, als dieser gewählt wurde.

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